Nach Ansicht des saudischen Energieministers, Prinz Abdulaziz bin Salman, sieht die Realität am physischen Markt ganz anders aus, als es die Entwicklung der Rohölpreise an den Rohstoffbörsen in London und New York zuletzt vermuten ließ. Der Minister sieht sogar eine Gefahr für die Marktstabilität, die die OPEC und ihre Partner erneut zum Eingreifen zwingen könnte – möglicherweise sogar mit erneuten Produktionskürzungen.
Ölpreise an Rohstoffbörsen seit Mitte Juni im Abwärtstrend
Seit Mitte Juni entwickeln sich die Rohölpreise an den Rohstoffbörsen in London und New York in einem Abwärtstrend. Am vergangenen Dienstag schloss der Kontrakt für die europäische Rohölsorte Brent mit 92,34 Dollar auf dem niedrigsten Stand seit Mitte Februar. Sorgen hinsichtlich der Nachfrageentwicklung (vor allem in China und den USA) sowie neue Hoffnungen auf eine Einigung bei den Atomgesprächen mit dem Iran, die zu einem beträchtlichen Anstieg des iranischen Ölangebots führen könnte, gehörten zu den Faktoren, die den Abwärtstrend ermöglichten. Davon abgesehen versuchen die Trader, den Einfluss des Ende des Jahres in Kraft tretenden EU-Embargos auf russische Öllieferungen und der diskutierten Preisobergrenze für Öl aus Russland abzuschätzen.
Prinz Abdulaziz: Lage am physischen Markt wird durch Börsenpreise nicht abgebildet
Die zahlreichen Unwägbarkeiten zusammen mit den teils deutlich höheren Kosten, die mittlerweile für Händler anfallen, wenn sie physische Lieferungen über Futures-Kontrakte absichern wollen, sorgten nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine dafür, dass viele Trader sich aus dem aktiven Handelsgeschehen an den Börsen erst einmal zurückzogen, was bei den Ölpreisen an der Börse zu starken Verzerrungen führen kann. Laut dem Energieminister des wichtigsten Mitglieds der OPEC ist dies bereits der Fall und gefährdet die Stabilität des Marktes. In einem schriftlichen Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg warnte Prinz Abdulaziz nun erneut, dass die Reservekapazitäten stark begrenzt seien, während das Risiko gravierender Angebotsstörungen hoch bleibe.
OPEC+ sieht für September noch höhere Produktionsziele vor
Damit bekräftigte er noch einmal die Aussage, die die OPEC und ihre Partner (OPEC+) nach ihrer letzten Ministerialsitzung gemacht hatten. Nachdem die OPEC und zahlreiche andere Ölproduzenten, darunter auch Russland, nach dem heftigen Preisrutsch im Frühjahr 2020 die umfangreichsten Produktionskürzungen beschlossen, die der Markt je gesehen hatte, wurden diese nach und nach wieder zurückgeführt und sind mit den für August beschlossenen Produktionssteigerungen der Allianz zumindest auf dem Papier wieder vollständig eingeholt.
Anfang Juli hatte US-Präsident Biden angesichts der in vielen Ländern – auch in den USA, dem größten Ölkonsumenten der Welt – immer noch extrem hohen Inflation auf seiner Nahost-Reise versucht, den Ölproduzenten in der Golfregion noch einmal eine stärkere Steigerung der Produktionsmengen zu Entlocken. Bei der darauffolgenden OPEC+ Sitzung wurde jedoch für September nur eine eher symbolische Anhebung der Produktionsziele um 0,1 Mio. B/T beschlossen.
OPEC+ Treffen am 5. September könnte Weichen für Zukunft der Allianz stellen
Beim nächsten Treffen der Produzentengruppe am 5. September dürfte es nun darum gehen, die Zukunft der Allianz zu besprechen, deren Kooperation an sich Ende Dezember beendet wäre. Vor allem aus Saudi-Arabien und Russland hieß es zuletzt, man wolle auch über das aktuelle Abkommen hinaus eng zusammenarbeiten. Laut Prinz Abdulaziz soll das neue Abkommen, das man anstrebt, noch wirkungsvoller sein als das bisherige. Oberstes Ziel: Die Stabilität des Ölmarktes zu sichern – wenn nötig, mit weiteren regulierenden Maßnahmen. Auch erneute Produktionskürzungen schließt Prinz Abdulaziz dabei nicht aus.
Erneuter OPEC+-Eingriff in den Markt möglich – Produktionskürzungen jedoch streitbare Maßnahme
Allerdings dürften Kürzungen wohl erst Sinn machen, wenn es bei den Iran-Atomgesprächen tatsächlich zu einer Einigung kommt und die Islamische Republik ihr Ölangebot wieder deutlich steigern kann, oder wenn wirklich eine weitreichende Rezession einsetzt, die die Nachfrage stark beeinträchtigt. Denn sonst würden Produktionskürzungen der OPEC und ihrer Partner vermutlich zwar die Reservekapazitäten und die Preise wieder etwas steigen lassen, dass sich der Markt dadurch stabilisiert, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Denn kürzt die OPEC+ einfach das Angebot, um dem Abwärtstrend der Ölpreise an den Börsen einen Riegel vorzuschieben, dürfte sich die hohe Inflation, mit der viele Konsumentenländer derzeit zu kämpfen haben, nicht nachlassen, was wiederum das Wirtschafts- und auch das Ölnachfragewachstum in Mitleidenschaft ziehen dürfte.
Source: Futures-Services